Die zeitgemässe Fleischküche:
weniger, anders, besser...
Nachhaltig heisst nicht zwangsläufig vegan. In bestimmten Regionen der Schweiz hat die Tierhaltung durchaus ihre Berechtigung. Doch was ist gutes Fleisch und wie kann Fleischkonsum nachhaltig gestaltet werden?
Text: Lena Götsch – Fotos: Sustineo/Rowan Thornhill
Spätsommer 2023 auf dem Bio-Hof Gut Rheinau. Auf der Weide treffen Kühe und Stiere auf Ziegen. Kälbchen trinken Milch frisch vom Euter der Mutter, während sich die erwachsenen Wiederkäuer à discrétion mit Gras und Heu verpflegen. Die Freilandhühner suchen sich im Misthaufen und unter Bäumen einen Teil ihrer Nahrung selbst. Zusätzlich verwerten sie Gemüseabfälle, Keimgetreide und Molke. Alles Resten, die in der hofeignen Produktion anfallen.
Keine Frage – die Fleischproduktion ist ressourcenintensiv. Grosse Mengen knapper Ressourcen wie Land, fossile Energieträger und Wasser werden verbraucht. Und wir essen viel aus der Fleischküche. Gleichzeitig werden in der Schweiz jährlich rund 134‘000 Tonnen geniessbare Stücke verschwendet. Das ist zu viel. Findet auch Bio Suisse. Zusammen mit foodward wurde deshalb eine Weiterbildung für Köchinnen und Köche, sowie Fachpersonen aus der Gastronomie lanciert. Hier trifft Kulinarik auf Nachhaltigkeit. «Wie das Fleisch produziert und das Tier gehalten wird, ist sehr relevant für die Fleischküche - deshalb starten wir unsere Seminare mit einer Tagesexkursion auf dem Hof», erzählt Patrick Honauer.
Im Einsatz für eine nachhaltige Gastronomie.
SUSTINEO, so heisst das neue Bildungsangebot in nachhaltiger Gastronomie. In Zusammenarbeit mit Bio Suisse und dem Verein foodward, werden praxisorientierte Module für Gastronominnen und Gastronomen angeboten. Die Module lassen Kulinarik auf Nachhaltigkeit treffen, kombinieren Theorie und Praxis und liefern Tipps und Tricks für den Einsatz im eigenen Betrieb. Zudem bilden sich Betriebsleitende, die ihren Betrieb mit dem Label Bio Cuisine zertifiziert haben, mit Angeboten von SUSTINEO weiter.
(Fleisch-)Konsum neu denken
Trendforscherin Hanni Rützler nennt sie «Real Omnivores» oder «Carneficionados». Gemeint sind Menschen, die sich nachhaltig ernähren wollen, ohne dabei komplett auf Fleisch zu verzichten. Qualität vor Quantität lautet die Devise. Zwei bis drei Portionen Fleisch pro Woche, dies empfiehlt die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung. Zudem sollten wir uns diverser ernähren. Wenn Fleisch aus industrieller Produktion gemieden wird, entsteht Raum für verschiedene, zum Teil vergessene Fleischstücke. «Nose to Tail» heisst das Zauberwort. Vom Schnörchen bis zum Schwänzchen.
Die Schweiz ist eine Weideland.
Wiederkäuer wie Kühe, Ziegen und Schafe können etwas, was wir Menschen nicht können: die effiziente Verwertung von Gras und Heu. Werden die Tiere auf der Weide gehalten, fördert dies die Humusbildung und speichert Kohlenstoff im Boden. Insbesondere im Wiesen- und Weideland Schweiz kann Milch und Fleisch auf eine ökologische Art und Weise erzeugt werden, wenn Wiederkäuer auf Flächen gehalten werden, die für den Anbau von Pflanzen ungeeignet wären, und nicht mit Kraftfutter gefüttert werden.
In der Kursküche werden Rinderherzen gegrillt, Innereien zu einem Paté verarbeitet, ein Suppenhuhn wird gleich doppelt verwertet. «Meistens koche ich das ganze Suppenhuhn im Dampfkochtopf zu einer Bouillon, das spart Energie und sorgt für noch mehr Aroma», teilt der renommierte Koch Carlos Navarro mit den Teilnehmenden des Moduls. «Die Brühe verfeinere ich gerne mit lebendigen, fermentierten Zutaten wie Sauerkraut oder Miso.» Mit gekonnten Handgriffen zeigt er, wie man das Fleisch vom Suppenhuhn trennt und daraus ein süss-salziges Gulasch mit Äpfeln zaubert. Anschliessend wird direkt am Küchentisch verkostet und das Gelernte auf einem Flipchart festgehalten.
«Feed no Food.»
43% der fruchtbaren Ackerfläche in der Schweiz dient dem Anbau von Tierfutter (Greenpeace, 2021). Die Futterproduktion konkurrenziert damit unsere menschliche Ernährung. Dies ist am Beispiel Soja klar erkennbar: Während die Hülsenfrucht ein attraktives Nährstoffprofil für Menschen bietet, finden lediglich 2% des weltweit angebauten Sojas den direkten Weg in unsere Küche. Der Grossteil der Hülsenfrucht landet im Futtertrog. Da mehr als die Hälfte vom benötigten Kraftfutter in die Schweiz importiert wird (Greenpeace, 2021), wird auch für Futtermittel für Schweizer Fleisch Regenwald abgeholzt. Gemäss Richtlinien von Bio Suisse erhalten Wiederkäuer, also Rinder, Schafe und Ziegen, auf Knospe-Höfen nur Schweizer Futter und höchstens 5 Prozent Kraftfutter wie Soja.
Vom Schnörchen bis zum Schwänzchen gegen Food Waste
Die Nachfrage nach «Edelstücken» wie Pouletbrust, Filet und Steak ist gross. So gross, dass sie oft importiert werden müssen. Der Verkauf dieser beliebten Stücke macht mehr als 60 Prozent des gesamten Fleisches aus, das in der Schweiz verkauft wird. Wer bedenkt, dass ein Rind nur zu rund einem Drittel aus «Edelstücken» besteht, merkt schnell: Diese Rechnung geht nicht auf.
Und genau hier setzt «Nose to Tail» an. Es geht um die ganzheitliche Verwertung des Tieres. Knochen und Innereien, aber auch Schmorstücke und Siedfleisch können Abwechslung auf den Teller bringen und neue kulinarische Erlebnisse in der Fleischküche schaffen. Nicht zuletzt sind diese Teile preiswerter und schonen damit nicht nur die Umwelt.